
Wenn mich jemand länger als drei Sekunden anblickt, schwitze ich.
Wenn jemand ein Foto von mir macht, kann ich nicht schlafen, nächtelang.
Wenn ich auf der großen Leinwand zu sehen bin, muß ich aufhören.
Und wenn ich aufhöre, erreich ich nichts.
Und deshalb?
Ja, deshalb.
Deshalb bin ich
ausgeleuchtet. In der Nacht der Nächte: vollkommen ausgeleuchtet. Um Begegnungen zu erleichtern, sagen die Labelchefs, und ich stehe da und nicke, nicke allen zu, nicke alles ab, nicke zum Beat, der lauter wird. So viele Dinge, so viele, zur selben Zeit. Ich nicke. Fühlt sich an, als wär da nichts. Ich nicke. Immer auf dem Weg irgendwohin, nie mal weg vom Weg, egal wohin. Ich nicke, drehe mein Ohr noch mehr zu dem Mund, der mich anspricht, nein, nicht: anspricht, der zu mir spricht, mir zuspricht, das sei alles so toll, meine Musik, es würde sie/ihn, Besitzer/in dieses Mundes immer an Filme denken lassen, die in den Achtzigern entstanden seien, einfach dadurch, daß jemand ein Stück Zelluloid mit Feuerzeug, Messer und Lippenstift bearbeitet habe, und herausgekommen seien ja auch da, bla, blabla. Ich nicke und schaue, die Augen kreisend, langsam, vorn links ein Pärchen, das küßt, vorn rechts ein Pärchen, das streitet, dazwischen ein paar angestrengt Tanzende. Meine Zeit ist herum. Sieben Jahre gehofft und gebangt und rumgehangen, und jetzt feiern wir Release, Majorlabel-Release, feiern, daß ich es hier in der Hand habe, das Gold, zumindest ein Stück.
Es liegt am Ende der Straße, das Glück. Am Ende dieses Teils der Straße liegt es. Am Ende des Häuserblocks. [Du gehst bis zum Ende des Häuserblocks. Irgendwie schaffst du es, reinzukommen, ins Glück. Du schaffst es, durch das Glanzgewitter irgendwelcher Fanzine-Fotografen hindurch reinzukommen, ungesehen, gesehen und doch ungesehen, immer hin und her zwischen dunkel und öffentlich.]
Alle sehen mich.
Alle sehen mich.
Alle sehen mich, und ich nicke und schwitze. [Ich würde dich so gern sehen, gegen das Gegenlicht. Aber diese Geschichte gehört nicht hierher.] Alle sehen mich. Alle sehen sich. Alle sehen sich um, im Bewußtsein, einem Scherz beizuwohnen, verkauft als gigantischer Moment, als das große Gold, auf das alle hier gewartet haben. Noch ein Foto! Aber ich nehme das alles auf mich, dafür, wofür ich sieben Jahre gearbeitet habe, nehme ich tausende schlafloser Nächte auf mich, für das: ein Stück Gold, Debütalbum The golden golden gold, worüber später ein Dutzend Kritiker schreiben werden [in leichten Variationen], daß es so sehr viel mit mir zu tun habe, mit ihr zu tun habe, mit der schön dreckigen Realität in dieser Stadt.
Komm mit mir ins Glück!
Wie, kennst du nich?
Der schönste Club der Welt.
Im Glück gibt es alles.
Und nichts.
Da bin ich alles.
Und nichts.
Das Glück ist das beste, was es gibt, in this city.
Es lohnt sich, wieder hier zu leben, in Video Camera City.
Weil es das Glück gibt.
Deshalb ist es viel schöner, das Leben hier, als zum Beispiel in.
Aber ich will nicht vergleichen, Vergleichen macht unglücklich, das haben Glücksforscher endlich herausgefunden. Ich will nicht vergleichen. Ich will glänzen. Die Platte mit dem goldenen Gold in der Hand, bleibe ich da, wo ich heute Nacht hingehöre. Die Nacht der Nächte, die vor allem aus dem besteht, woraus Nacht nicht besteht: Licht. Und in diesem Licht kann ich mich sehen lassen. Der Club, in dem wir feiern kann sich sehen lassen. Das DJ-Lineup kann sich sehen lassen. Der grüne Laser kann sich sehen lassen. Die Gästeliste kann sich sehen lassen. Die Musikstars darauf. Die Journalisten darauf. Die Politiker darauf. Er da drüben kann sich sehen lassen. Und erst sie! Bei der Drehbuchlektüre auf einer Pool-Terrasse in Los Angeles wirkte sie kürzlich noch zerknirscht. Und ziemlich einsam. Doch jetzt hat sich alles geändert. Sie klammert nicht mehr, und plötzlich [PLÖTZLICH!] klappts auch mit ihrem Lover. Wie stark sie ist, hatte sie ja schon bewiesen, als sie ihre Eßstörung in den Griff bekam. Jetzt will sich die Zweiundzwanzigjährige ganz auf ihre Karriere konzentrieren. Er neben ihr sonnt sich in ihrem Glanz, wie im Glanz vieler Berühmtheiten, aber. Ob ihn das wirklich weiterbringt? Oder ist es Zufall, daß der It-Boy auf den Bildern meist begeisterter strahlt als berühmtere Kollegen? Treu war er bisher nur seinem Hang zu Partys und Glücksspiel. Jetzt behaupten gleich zwei Topmodels, mit dem Fünfundzwanzigjährigen ein Kind zu haben. Doch sein Selbstmarketing zeigt Erfolg: Das Album seiner Band stieg immerhin auf Platz Zehn der Independent Charts ein. Und er, er kommt auf mich zu, dreht sich zum Fotografen, und gerade als es blitzt:
Stop mal eben, whoaw!
Alles okay?
Neinnein.
Was?
Nichts passiert, alles fein.
Und die Augenringe?
Na, so solls sein.
Augenringe?
Goldene. Goldene Augenringe.
Komm schon, öffne mir dein Herz!
Na gut: Ich kann mich vor lauter Gold kaum retten, vor dem Gold kaum retten, überall bin ich sofort erkennbar.
Du schwitzt.
Sofort scanbar.
Immer schon abgelichtet.
Und deshalb schlaflos.
Hey, wir wollen tauschen, du gibst mir was ab von deinem Gold, und ich geb dir zurück, was du vermisst.
Und das ist?
Lässigkeit. Die etwas weniger anstrengenden Momente im Licht.
Nicht so groß wie hier?
Eher klein. Wieder independent. Von den Blitzen fern.
Von Herzen gern.
Das ist der neue Red-Carpet-Trend, da zu sein, wo gar kein Red Carpet liegt. Hier, im Glück, dem schönsten Club in Brooklyn, sind alle, die es sich leisten können, nicht mehr im großen Glanz zu stehen. Seen it, done it, had it all. Ten years after the turn of the century / zehn Jahre nach der Drehung des Jahrhunderts, und Glanz und Underground, Glamour und Politik sind eins. Und ich nicke. [Das beschädigte Leben, das sich in unsere Bedürfnisse verheddert hat.] Ja, auch zwischen mir und meinem Bild gibt es immer wieder Kollisionen, aber ICH bin nicht daran schuld. Ich will mit ihm übereinstimmen, aber das Bild will nicht. Es läßt mich nicht schlafen. Denn immer.
Immer.
Immer kommt jemand und guckt [GUCKT]!
Das ist der neue Red-Carpet-Trend, der alle erfaßt hat, sogar die Innenstädte unserer Städte, in denen auch immer jemand guckt, selbst wenn niemand da ist. Wo immer jemand durch die angebrachten Kameras guckt, an Hauswänden angebracht, in Schaufenstern angemacht, in U-Bahnen. Damit man überall weiß, man ist nicht allein. Es gibt keinen Ort, an dem man noch allein sein kann, weil immer jemand da ist und guckt. [Und du? Du trittst die alten verwunschenen Trampelpfade lang, abseits, durch liegengelassene Dunkelkammern, wo die weggeworfenen Spuren, T-Shirts, Turnhosen, Schweißbänder, davon erzählen, daß das da ein Niemandsland ist, in dem sich zwei Menschen begegnet sind, die nicht wußten, was sie woanders sind, die nur wußten, daß sie da das sein können, was sie sein wollen, indem sie tun, was sie tun wollen, momentlang. Das ist deine Geschichte. Doch die gehört nicht hierher.] Als wäre alles, was sichtbar ist, einfach verfügbar und deshalb da. Als wäre zuerst alles da, und dann würde etwas passieren. Als würde irgendein Foto von mir in der Glamour wirklich meinen Körper kassieren, doch was der vermag, hat bisher noch niemand festgestellt, den hat niemand festgestellt, nur durch Blicke. the eyes, the eyes, they’re a dead giveaway: Vor allem bei ihr, die jetzt auf mich zukommt, um mir ein paar Komplimente ins Ohr zu flüstern und das eine oder andere moralische Angebot, bei ihr sind die Blicke etwas, das sie gern verschenkt, im Glück. Dabei hatte die Vierundzwanzigjährige stets betont, wie wichtig ihr ein normales Leben mit ihrem Freund, dem ehemaligen Elektriker, ist. Ungewöhnlich für eine Frau mit ihrem Erfolg. Aber ist das noch genug? Wenn alle dich immer angucken sollen, ist das normale Leben noch ungewöhnlich genug? Das Paar wolle seine Liebe überprüfen, sagen Freunde. Und mir sagt sie:
Es ist still.
Hier?
Nein. Wo das Glück eintritt.
Es ist still, wo das Glück eintritt?
Es ist alles zu sehen, alles sehr gut zu sehen, aber still.
Hier, im Glück, bin ich bestens zu sehen. Und still.
Siehst n bißl fertig aus.
Viel Arbeit, mehr nicht.
Nach dem Work-Out kommt der Burn-Out, Baby.
Ich hab mich schon abgedimmt. Hab getauscht, ein bißchen von meinem Gold gegen Lässigkeit.
Lässigkeit in the limelight.
Aber über ein Weilchen fiels mir ein, es sollte noch unauffälliger gehen.
Unauffälliger?
Weniger?
Weniger ist mehr.
Na ja, geschieht euch so ein großer Gefallen, will ich euch wohl etwas vertauschen, gegen die Lässigkeit.
Und was?
Blitze. Aus dem Stroboskop.
Cool.
Bitte sehr.
Herz, was verlangst du mehr?
Der neue Luxus der Superreichen ist es, nicht immer erreichbar zu sein, nein. Nichts an ihnen ist noch erreichbar. Nicht mal mehr ihre sichtbare Gestalt. Oder doch. Aber nur für Sekunden. Und hier, mitten im Glück, bin ich auch dank Stroboskop nur noch für Sekunden erahnbar, so daß niemand weiß, wie er mich abscannen soll. So daß niemand mich filmen kann und morgen auf youtube stellen, mit dem Titel: The golden golden gold, betrunken im Glück. Nicht betrunken. Im Blitz. Blitz. Ein Dancefloor, der wohl noch eine Stunde dauert. Der wohl noch die ganze Nacht. Der wohl noch ein paar Jahrhunderte dauert. Auch im Strobo. Auch das Strobo. Strobo. Kann dich nicht daran hindern. Zu sein. Gesehen. Zu sein. Gut. Gesehen. Wie gut. Gesehen. Wie gut das tut! Denn wenn man dich nicht sieht, bist du nicht da, jaja. Schlag vor den Kopf. Solch ein Schlag, daß ich zu Boden. Daß ich. Daß es mich nicht mal mehr beschäftigt, geschweige denn ärgert, wenn meine Videoclips illegal hochgeladen werden, in miesester Qualität. Aber immer kommt jemand und guckt. Kurzer Moment. Des Erkennens. Wiedererkennens. Ach ja. Bis vor kurzem war für ihn, den Neunzehnjährigen, noch das Surfboard das Brett, das die Welt bedeutet, inzwischen hat er es mit den internationalen Catwalks getauscht. Er sagt nicht nur immer, was er denkt. Er hat auch immer noch ein Drogenproblem. Er ist total abhängig von dem neuen Stoff dieses Jahrtausends, totally addicted to networking. Wenn jede Umarmung, jeder Blick und jedes Wort, das über ein Hallo hinausgeht, auch nicht mehr ist als Networking, als nett, als working, working for myself.
Darf ich dir jemanden vorstellen?
Klar. Wen?
Mein Portfolio. Oh. Wieso zuckst du so?
Nach dem Burn-Out kommt der Sell-Out, Baby.
Was sind das für Streiche? Ich kann dich nicht sehen.
Warte, ich erzähl dir, was vorgefallen. Erzähl dir, was mir aufgefallen.
Erzähl!
Ich versuchs.
Versuchs!
Aber ES GEHT NICHT!
Du zuckst die ganze Zeit, und es geht nicht. Gib mir was ab von den vielen Klicks für deine Clips, und dir wird es besser gehen, mit einem Schlag.
Ja?
Aber klar.
Es gibt viele Gründe, warum Menschen nachts wach bleiben. Weil sie tanzen wollen. Weil sie Sex haben wollen. Weil sie Filme drehen wollen, auch mal ohne Happy End. [Filme über das Ende des Kapitalismus, mit Unhappy End.] Und ich fange an, fange wieder an, mit dem Versuch, vom Glück zu erzählen, wie ich vorteilhaft alles getauscht habe, vertauscht, um kurz mal raus zu sein aus dem Licht, in dieser Stadt, dieser global City, Video Camera City. [Auf ins Gefecht!] Ich versuch, euch das zu erzählen, während ich hier stehe, im Glück. [Wenn ich aufhöre, erreich ich nichts. Wenn ich nicht aufhöre, erreicht mich nichts, reicht nichts an das heran, was ich sein kann.] Aber ich will nicht schuld sein, daß ihr ins Unglück gerathet, weg vom Weg, den ihr gehen müßt, mit eurem Blick. Fernsehschirme über den Pissoirs, nicht aus Kunstgründen, und sicher auch nicht, damit ich statt auf Macht und Priviliegien auch mal auf was anderes schielen kann, Scheitern und Unzulänglichkeit. Räume, die die Augen steuern, damit nichts passiert, zumindest nichts Verwerfliches. Wo aus dem suchenden Blick Schaukästen werden, aus dem Umkreisen Laufstege, aus dem Tasten eine Tanzfläche, auf der du allein tanzen kannst. [Dabei kann ich mit mir allein schlecht intim werden, aber wenn ich mit anderen intim werde, werde ich auch mit mir intim, warum?] Ich nicke und schaue, die Augen langsam kreisend, vorn rechts ein Pärchen, das küßt, vorn links ein Pärchen, das streitet, dazwischen ein paar erschöpft Tanzende, ganz hinten, nicht zu sehen, wird jemand entjungfert. Oder nein.
Nein.
Immer guckt jemand und guckt und guckt. [Ausleuchten, um Begegnungen zu verhindern, sagen die Lebenchefs.] Auch hier am Rand, Rand der Tanzfläche, der Tanzfläche auf dem untersten Floor. Bilder, die gehortet werden. Vorhin war ich the golden golden gold, im Glanz, im Glück. hab ich getauscht und getauscht und getauscht. Und jetzt? Schauen mich alle an, wie ich hier bin, am Rand, und jemand sagt: Sieht aus wie nachträglich ins Bild einmontiert, und das auch noch zu dunkel, im Vergleich zum Umgebungsbild, zum umgebenden Bild, zur Umgebung als Bild. [Nie dich anblicken als das, was du bist, nie nie, immer nur anblicken als das, was du sein kannst, ja, du kannst das sein, du kannst so viel, du kannst alles sein, aber nicht überall.] Ich trage halt immer ganz schön viel mit mir herum, und ich meine nicht mein großes Vermögen. Den Abfall. Der Abfall unserer Leben. [Ich bin nicht mal dreißig, und ich verwese!] Und ich tausche nochmal. Und nochmal. Und
nochmal.
An die Grenze des Glücks.
Die untere.
Dahin, wo sogar Fassbinder gerufen hätte: Heller!
Und noch was draufsetzen.
Drunter.
Mit mir, noch weiter runter.
Ab jetzt nicht mehr vor euren Augen, nein.
Wieso auch? Ich bin vollkommen unkreativ.
Ich gebe mir alle Mühe, abgefucked auszusehen.
Ich bin ziemlich gut darin, Taxis anzuhalten. Das ist das einzige, worin ich gut bin: Taxis anhalten, online shoppen und Dinge runterwerfen.
Und ich mach das gern.
Das macht mich zum glücklichsten Menschen auf Erden, oder nein, denn.
Immer guckt jemand und kommt.
Seen it, done it, hate it all.
Das beschädigte Leben, in das unsere Bedürfnisse verheddert sind.
Das ist mir wie Schuppen vor die Augen gefallen.
Ich habe alles vertauscht.
Das Gold und das Glück und das alles mit dem, was ich will.
Was willst du denn?
Keine Ahnung.
Ja, und? Das mußt du doch nicht zur Deckung bringen.
Muß mich in Deckung bringen,
mich
und mich
und
unzählige andere, im lärmenden Durcheinander, in dem mich niemand hört, wenn ich ganz leise sage: Diese Geschichte handelt von dir. Ich erinnere mich an das erste Mal, mit deinem Blick. Ich erinnere mich genau. Obwohl es dieses erste Mal nie gab. Ganz genau. Obwohl es das erste Mal nie gibt. Dennoch weiß ich, daß ich ihn irgendwann zum ersten Mal gesehen haben muß. Deinen Blick. Der mir sagte: Ja, ich bin ein Silberblick. Und mein Körper, der auf einmal im Dunkeln stand, obwohl dein Blick mich anblickte, mein Körper wußte sofort: Ich bin nichts ohne dich, ich lebe gar nicht ohne dich, obwohl ich dich gar nicht kenne. Ja. Alles, was ich wollte, war, zu verhindern, daß du mich anblickst und in diesem Anblicken, diesem Blicken, das mich anblickt und doch nicht mich, etwas entsteht, was vielleicht über mich hinausgeht und über dich. [we can see / what you can’t see:] Ja. Ja. Ja sagen zu etwas, das man nicht kennt. Daß das, was ich nicht besitze, mich erstmal zu nichts macht und ich so noch allerhand Möglichkeiten habe, für die Zukunft. Ich muß geboren sein, in einer Glückshaut.
Komm, öffne dir mein Herz!
Wo sind wir? Auf einem Parkplatz am Highway? An einer Bahnhofsklappe? Im Rosengarten? Hier unten, im dunklen Raum, in dem ich dich sehe, ohne dich zu sehen. In dieser Dunkelkammer wird unsere Geschichte entwickelt. Und ich kann mich nicht beherrschen, kann dich nicht, kann ihn/sie/es nicht beherrschen. Ich bin nichts ohne dich, obwohl ich dich gar nicht kenne, aber wenn ich an dich denke, ohne dich zu kennen, gehe ich schon über alles hinaus, woraus ich bestehe, angeblich, die ganzen inneren Werte, die ganzen äußeren Werte, und alles, was darüber hinausgeht, geht von dir aus [VON DIR]. Dieses ganze fehlgeleitete Begehren. Begehren, das sich nicht gleich selber aufhebt. Lebensformen, die anhäufen, und wenn es nur Abfall ist, der Abfall unserer Leben als unser Leben. So wie die hier. Diese Glückshaut. Die hab ich abgeworfen. Abgetragen. Abgetreten. Und hoffentlich, hoffentlich ist es still, wo das Glück eintritt. Hoffentlich ist das Glück, wenn es eintritt, endlich still und hört auf, mir Dinge ins Ohr zu flüstern. Nein, nicht du! Dich habe ich doch nicht gemeint, als ich von ihm sprach, vom Glück. Du bist still! Vollkommen stillgestellt, solange das Glück auf uns einschlägt, wie es das tut, im sichtbaren Teil der Welt.
Das sagst du, sagt mir dein Blick. Ja, du hast einen Silberblick. Du hast dein ganzes Leben lang versucht, nach Gold zu schürfen, mit diesem Blick, und es hat nichts gebracht. Nur mich. Nur mich hat das zu dir gebracht, hier unten hin, in diesen dunklen Raum. Hier, nur erahnbar, blickst du mich an. Und dein Blick teilt sich auf, denn ein Auge blickt mich an und eins nicht. So bewegt er sich, ohne es zu wollen, dein Blick, bewegt sich und läßt dich teilhaben an dem, was dieser Raum um uns herum ist, so streunt er herum, macht halt, rast wieder los, ziellos, zahllos, ohne zu wissen, wo das zu erreichen ist, das Gold. Das Zurückgelassene, die Realität, oder alles, was so genannt wird, ist längst schon wieder zusammengebrochen, auf dem Weg. Nie mal auf dem Weg irgendwohin, immer schon weg vom Weg, egal wohin.
Auf ins Geflecht!
Ein Mensch, den man eine halbe Dekade kennt, und den man plötzlich liebt, von einer Sekunde auf die andere, durch Streitgespräche, die neue Bilder produziert haben. Du und ich in einem Raum, in den ein Film projiziert wird, ein einziges Mal, der in dem Moment entsteht, in dem er projiziert wird, und der nie wieder aufgeführt werden kann, der entwickelt wird, in dieser Dunkelkammer, und im selben Moment zerstört, und doch wird das, was wir danach sind, nicht mehr zu trennen sein von der Handlung dieses Films, von unseren Handlungen in diesem Film, von dem, wie wir handeln, wenn wir uns nicht abtrennen voneinander und von dem, was jeder unserer Körper so kann. Die Tatsache, daß wir derzeit wenig Aktivität sehen, ist für mich für sich kein Grund der Enttäuschung. Im Gegenteil: eine Bewegung, die immer etwas ganz anderes ist als die einzelnen Teile, aus denen sie entsteht, die einzelnen Teile, die sie versteht, ja, es ist ein ungleicher Tausch, ich weiß doch nie, welche Geschichte ich herausbekomme, und das ist auch gut so. Sich anblicken und doch nicht. Silberner Blick, silbernes Glück. So glücklich wie mich gibt es keinen Menschen unter der Sonne, weil ich nicht da bin, unter der Sonne. Mit leichtem Herz, in der Nacht der Nacht.
Ja.
JA!
Ja, es ist eher so, daß ich mit körperlichen Prozessen arbeite und Emotionen, auch wenn man nichts davon sieht, im fertigen Film.
Weil man kaum was sieht vom fertigen Film.
Es ist fast so, als wären meine Filme körperlicher fühlbar.
Also, wenn du das verlangst, von deinem Traumpartner, bist du bei mir goldrichtig.
Bist du Gold.
Bist du richtig.
Ach, erzähl mir nichts!
HÖR ENDLICH AUF, ZU ERZÄHLEN!
Mais oui!
Could we be temporary?
Wir verwirklichen uns nie.
Ich erinnere mich an einen meiner ersten Aufträge. Ein paar junge Leute waren in einem Hotelzimmer, der Heizofen war ausgegangen und sie bemerkten nicht, wie sie durch das ausströmende Kohlenmonoxid vergiftet wurden. Der Heizofen war ausgegangen. Schöne junge Menschen, nackt auf dem Bett, sie waren gestorben, ohne etwas zu merken. War ausgegangen. Ich war schockiert. Ausgegangen. Als Reporterin sieht man viele unerfreuliche Dinge. Nein, so ist es nicht ausgegangen. Es kann sein, daß sie immer noch in diesem Hotelzimmer sitzen, nackt und schön, und darauf warten, daß ihre Liebe stattfinden kann, jenseits der verwirklichten Gegenwart. Aber diese Liebe wird nie stattfinden, nein, sie wird nicht mal anfangen, so daß niemand später sagen kann: Das ist noch so ein unvollendetes Projekt, tja tja. Und wir sitzen zum Glück im glücklichen Westen, diesem aufpolierten Club mit der undurchsichtigsten Türpolitik ever, im Bewußtsein, einem Schmerz beizuwohnen. Dein Blick weiß auch nicht mehr, wohin. Vielleicht auf die Tanzfläche? Wo du alles machen kannst, nur nicht: mich berühren. Ja, da kannst du leider auch nicht hingehen, wenn du dich nicht allein fühlen willst. Es gibt nur einen Ort, an dem du dich noch mehr allein fühlen kannst, nur einen: in meinen Armen [ARMEN].
für: Erzähl doch keine Märchen oder Verteidigt jemand Hans im Glück, DuMont 2010