
Hard attack
Komm, greif jetzt nicht zu deinem Handy, ich bin grad dabei, was Rührseliges zu sagen. Also: Du und ich, wir hielten den höchsten Titel, den man in der Welt halten kann, Babe. Und immer, wenn uns andere ansahen, sahen sie nicht, daß wir das zusammen geschafft hatten. Sie sahen nur unsere Wunden, nur die, und dachten: They look like they have been at war, these two. But it was love. Gibt es etwas Lächerliches, als sich von einem anderen Menschen enteignen zu lassen? Und nichts anderes ist es doch, nicht Nähe/Distanz, nicht Vertrauen/Mißtrauen, es geht einfach darum, daß wir uns gegenseitig enteignen. Ich hab ja nicht gesagt, ich will dir nahekommen, ich habe gesagt, ich will mit dir leben. Und deshalb liebe ich dich UND das Boxen: Weil ich das einfach brauche. Nicht zu verletzen. Verletzt zu werden. Und dennoch: Erinnere mich bitte, daß ich meinen Herzinfarkt irgendwo anders habe als in Los Angeles oder Pankow.
I want titles
Ich sehe mich immer den Titel gewinnen. Welchen, ist egal. Das Boxen an sich ist nichts. Es ist bloß dazu da, mich der Welt zu präsentieren. Ja, ich bin Meta-Athlet. Meine öffentlichen Auftritte sind viel mehr als nur Sport. Und im Leben geht es einzig und allein darum, die Zeit zwischen den Auftritten hinter mich zu bringen. Um wieder zu glänzen. Und zu verdecken, wie spielend leicht ich dieses Glänzen hinbekomme. Perfection management: Ich habe den perfekten Plan für jede einzelne Station meines Lebens, aber die ganze Zeit tue ich so, als haderte ich unglaublich mit jeder Entscheidung, von der nur ich weiß, ich habe sie lange, lange im voraus getroffen, und doch verkaufe ich sie als Ergebnis schwerster Unwägbarkeiten. Wenn du ganz bewußt den Schlag setzt, es ist ein Knockout, und du verzichtest auf die Sicherheit, setzt keinen Schlag nach und lehnst dich in die Luft zurück, um zuzusehen. Nichts soll die Schönheit dieses Fallens stören.
Altarpiece
Der Ring ist ein Altar. Ich meine das nicht metaphorisch. Der Ring ist ein Altar. Und er wird dort geopfert. Bring ihn endlich um, ja?! Ich warte ewig darauf, daß wieder jemand geopfert wird. Wir werden weiterleben. Und er wird erlöst. Machste die Augen zu? Kriegste nen Keks. Und dann kommt es. Auf einmal. Dann erreicht es uns. Ein Teil seines Todes erreicht uns. Und uns fällt nichts besseres ein, als ein paar Tränen etwas Platz einzurichten in unseren Augenhöhlen und uns auf die Vergangenheit zu stützen: Whatever happened to them quiet, tender moments? Und dann besinnen wir uns auf unseren Anstand. Und zwar deshalb, weil der Boxer, der dort gerade geopfert worden ist, auch den Anstand hatte, seine Niederlage einzusehen, einzugestehen. Und noch im Tod flüstert er die Worte, die ihm endgültig dabei helfen, seinen Körper zu transzendieren: I’m too nasty to die.
I want muscles
Die Muskeln des Rocky Balboa entsprechen nur bedingt den Muskeln eines realen Boxers. Eher, und mich verwirrt das jedes Mal, ist der Body von Balboa der Body eines Bodybuilders. Also, sind seine Muskeln nur Dekor? Und wenn ja: Was dekorieren sie? Und, überhaupt: Was heißt es, wenn man eher das Gefühl von etwas haben will als dieses Etwas selbst? Oder andersrum: Ich kann ja Socken anziehen. Aber ich muß mich so fühlen, als hätte ich keine an. Ohne Socken fühle ich mich mehr als Kämpfer. Dann fühle ich mich größer. So wie Stallone, der ja auch nur 1,77 groß war und dennoch Weltmeister im Schwergewicht. Obwohl es nie einen Schwergewichts-Weltmeister gab, der kleiner als 1,80 war. Ohne Socken fühle ich mich wie Schwergewicht, sagt Sylvester Stallone. Intellektuelles Schwergewicht, schiebt er nach. Und wir schauen uns Rocky in allen sechs Filmen an und denken: Aha. Ja. Schon klar. Die unerbittlichsten Gegner, im Ring und draußen, sind eben unsere eigenen Bilder. Just sayin’!
Zurückhaltung
Ich war nie auf ner Schauspielschule. Ich hab mit Talkshows angefangen. Und da habe ich das gelernt, was ich im Ring perfektionierte: Ich bin nie zu Boden gegangen. Ich war bewußtlos, oh ja, und zwar sehr, sehr oft, eigentlich hauptsächlich, wenn ich im Ring stand oder in Talkshows saß. Aber zu Boden gegangen bin ich nie. Immer auf den Füßen. Ohne Bewußtsein. Der Körper macht einfach weiter, er ist von diesem Dämon besessen, der weitermachen MUSS. Und in diesen Phasen, sagen die Kommentatoren, wirke ich immer besonders echt. Das ist die höchste Kunst, sagen sie. Er wirkt so ursprünglich. Und so hoch entwickelt zur selben Zeit. Was er alles nicht macht! Was er zurückhält! Wie er durch seine Abwesenheit seine Anwesenheit noch verstärkt! Und sie damit belächelt. Ein Meister. Und alle stehen da und sind gerührt. Vor allem, wenn ich doch noch zu Boden gehe und das einzige zeige, was ich nie gelernt habe, zu zeigen.
Der Morgen danach
Du bist nichts. Du bist kein Gewinner. Du bist kein Verlierer. Du bist nichts davon. Du bist diese riesige Wunde, die sich allen Reizen des Universums geöffnet hat. Deine Hände sind doppelt so groß wie vorher. Deine Augen sehen nichts mehr. Du bist ohne Gesicht. Dieser Schmerz da ist dein neues Gesicht. Und da sage jemand nochmal, Kämpfen finde zu neunzig Prozent im Kopf statt.
Ausstellungskonzept
Jeder Boxkampf ist eine Geschichte, eine unberechenbare Geschichte, in der alles passieren kann. Warum wird das behauptet? Eine Geschichte ohne Worte, wird gesagt, aber immerhin: Geschichte. Und wozu, wenn das so ist, brauchen wir dann drumherum Rockys Geschichten? Warum dann nicht einfach nur die Boxkämpfe, ohne Trainings-Tralala, ohne halbherzige Lovestory und ohne Underdog-Overkill? Und was, wenn ein Boxkampf eben KEINE Geschichte wäre, sonder etwas, das vor den Geschichten liegt? Wir überbieten uns in unseren Verausgabungsgeschichten. Und die einzigen, die sich dabei kein Stück verausgaben, sind genau diese Geschichten. Los jetzt, in den Ring! Das zwischen uns ist keine Story, sondern was Größeres. Ja, wir wollen es fassen. Wir wollen Worte finden, wollen begreifen, was da so schnell und subtil und so grausam vor uns abläuft. Wir wollen in den Wahnsinn Muster hineinsehen, Struktur ins Chaos, wollen den Zusammenhang und die Intelligenz und das Genie auch im Kampf, als wäre es eine Tanzperformance oder eine atonale Komposition. Wir kleiden in Begriffe, während die Körper sich, entkleidet, dem Schrecken stellen, dem größten aller Schrecken: dem Moment, in dem es keine Distanz mehr gibt zwischen dir und mir.
Die andere Stille
You don’t have to speak. No. Im Actionfilm braucht niemand übermäßig viel zu sprechen. Aber Rocky ist gar kein Actionfilm. Rocky ist ein Melodram. Das Melodram eines Mannes, der sich immer neu aufbauen muß, nur um dann wieder in die Luft gesprengt zu werden. Und sich wieder aufzubauen. Und im Inneren nie zu wissen, warum das alles. Das ist ein Melodram? Aufbauen und in die Luft sprengen?Dann ist jeder Actionfilm ein Melodram.
In deiner Hand
Das Pathetischste, was ich je getan habe, war mein Datingprofil zu löschen. Und das bloß, weil mich jemand in der Realität zurückgewiesen hatte. Als ob diese Realität irgendwas mit dem Profil zu tun hätte. Als ob ich jede Begegnung mit diesem Menschen unterbinden könnte, einfach durch einen Klick. Oder habe ich damals nur das Profilbild gelöscht, das du nicht mochtest, und nicht das Profil? Du erträgst den Schmerz und wartest auf den nächsten guten Augenblick. Und dann kommst du an den Punkt, an dem du nicht mehr kannst, an dem das, was einem ein guter Augenblick noch bringt, die ganze Mühe nicht mehr wert ist. All those beatings you took in the ring, I took them with you. I know how you feel. Und jetzt: Laß uns doch zusammen unsere Profile löschen. Darauf meine Hand! Die Hand als Gabe, die Hand, die gibt und sich selber gibt. Die zärtliche Hand, die Hand der Liebe, die Hand, die begehrt. Und jetzt: Lieb mich doch. Liebe mich von den Kämpfen aus.
No more fighting/Much more fighting
Es kommt nicht darauf an, wie viel du austeilst, sondern, wie viel du einstecken kannst. Das war zumindest noch so, als ich zwanzig war. Aber jetzt bin ich einundzwanzig, und die Gesetze haben sich geändert. Jetzt haben wir eine ganze Menge Zeit in diesen Kampf gesteckt, der schon einige Jahrzehnte läuft, der Kampf darum, ob diese Welt nur noch ökonomisiert sein soll oder auch noch was anderes, und wenn ich WIR sage, weiß ich nicht genau, wen ich meine. Ich weiß nur, daß wir alle darauf warten, daß sich das Ende der Sackgasse auf einmal öffnet, um diese Fantasie von einem guten Leben zu enthüllen, als erfülllbar zu enthüllen, darauf warten, daß sich das alles nicht mehr so anfühlt, als würde Tag für Tag etwas auslaufen und zugleich ablaufen, darauf warten, daß wir nicht immer wieder einen Kinnhaken bekommen, und als Gegner entpuppt sich niemand anders als unser eigener Optimismus, unbarmherzig wie nichts. Entscheidend ist nicht, was du rausholst, sondern was du reinsteckst. Und der miese Trainer, der hinter ihm steht, dieses Wirtschaftssystem, das längst viel mehr ist als ein Wirtschaftssystem, lungert irgendwo hinter den Seilen rum, in Sicherheit. Und doch hat es noch nie in seiner Karriere so wild entschlossen gewirkt, so auf Vernichtung aus, und noch nie ist es so anstrengend gewesen, ihm dabei zuzusehen. Alles ist besser, als auch nur eine Minute länger diesem Kampf zuzuschauen. Wollen wir nicht den Rest des Abends auf dem Parkplatz rumhängen und den fleckigen Asphalt anstarren? Vielleicht wären wir als Parkplatz glücklicher. Aber nur weil wir das fantasieren, während wir verfallen, heißt das nicht, daß diese Fantasie den Verfall aufhält.
Public/publish
Betreff: Headhunter interessieren sich für Sie! Text: Sehr geehrter Mister Stallone, haben Sie je in den Spiegel gesehen und sich mit Rocky Balboa verwechselt? Danke im Voraus für die Antwort, Ihr Fan BoringBoxing
Betreff: RE: Headhunter! Text: Dear BoringBoxing, Boxen ist der härteste Sport der Welt, weil man auch gegen sich selbst kämpft. Man wacht eines Morgens auf und sagt sich: Alles andere ist zweitrangig. Das Leben besteht nur noch aus Rocky. Man ändert seine Ernährung, nimmt brav seine Eisen- und Stahltabletten, und beginnt, ernsthaft zu trainieren. Man selbst ist Rocky. Oder möchte es sein. Aber die Bilder bewegen sich immer nur, wenn sich unser Begehren bewegt.
Betreff: Außerhalb dessen, was du repräsentierst, bist du nichts. Text: Lieber Rocky Balboa, immer finde ich mich in Ihnen wieder. Zum Beispiel damals, in Rocky IV, im Moskauer Boxring, als sie so dastanden, beeindruckt von den Bannern mit der überlebensgroßen Version Ihrer Gegners Ivan Drago. Ich kann mich überhaupt nur noch fassen, wenn ich mich selbst als Bild betrachten kann. Ich bin nur noch existent, wenn irgendjemand HOT, SEXY, SMART unter mein Bild setzt. Oder wenigstens nen Daumen.
Betreff: RE: Außerhalb! Text: Nichts an mir wird veröffentlicht. Aber um mich herum tragen alle ständig diese abgenutzten Gesichter auf, von denen man vor zehn Jahren dachte, sie hätten irgendwas mit geschäftlichem Erfolg zu tun. Überall Profifressen, sogar im Supermarkt!
Betreff: [leer]. Text: Na ja. Solange die Profifressen noch nicht im Baumarkt angekommen sind.
Pathetic porn
Du mußt hart werden, und du mußt es bleiben. Du darfst nicht abschlaffen, und du darfst nicht kommen. Und jetzt darfst du auch nichts antworten. Bedank dich bei den Gegnern meiner gescheiterten Initiative: Für mehr Dialoge in Pornos! So bleiben uns nur die Monologe. Und jetzt bin ich dran. Hör zu: Boxen und Pornographie haben nichts gemeinsam. Nur daß die Zuschauer Voyeure sind, die sich manchmal auch ein bißchen schämen. Nur daß da etwas stattfindet, das leidenschaftlich ist und eigentlich nicht stattfinden darf. Nur daß beide, Porno und Boxen, völlig ohne Inszenierung sind. Na gut, Boxen nicht. Es soll natürlich authentisch WIRKEN. Die Kampfszenen in Rocky III zum Beispiel werden deshalb auch in Superzeitlupe gefilmt: um authentische Schläge vorzuführen. Leider erinnert die Superzeitlupe uns an Liebesszenen, erinnert uns daran, was diese Schläge sind: kleine Liebesbeweise aus dem Rotlichtviertel des Profisports. Ist das nicht eine neue Art von Männlichkeit? Eine, in der die Körper nur noch special effect sind? Das ästhetische Vergnügen an der Haut des nackten Mannes. Nur konsequent, daß Sylvester Stallone, der erst im Underground Softpornos drehte, nach seiner Verwandlung in den im Leben soften und im Ring harten Rocky dann zu Rambo wird, und daß Rambo wiederum in den Underground zurückkehrt, um dort, wenn auch nicht gespielt von Sylvester Stallone, im Harcoreporno einen weiteren Meilenstein seiner Karriere zu setzen. Is ja gut, is ja gut, ich halte jetzt den Mund und massiere dich. Guck mich nicht so an. Doch. Ich liebe deinen abweisenden Blick. Die höchste Schönheit auf Erden steht vor mir, wenn dieser Blick mich wieder in meine Schranken weist. Du sollst mich nur anblicken, sagt er. Anklicken ist auch noch okay, ich will ja meine Klickrate steigern, ich will Attention, ja, aber deine Aufmerksamkeiten kannst du dir sparen. Trainiere ich danach noch härter, weil du mich liebst, oder weil eben nicht? Ich möchte dir etwas sagen, das immer zutrifft, egal wann und wo, und egal, wer wir sind.
Don’t hurt me no more
In Rocky IV sagt Rocky zu Adrian vor dem Kampf: Don’t leave town. So als könnte er, aus dem Ring zurückgekehrt, feststellen, daß alles anders ist als zuvor. So als wäre die Zeit im Ring eine andere. So als würde der Kampf nicht zwölf Runden à drei Minuten dauern, sondern viel länger, und als wäre danach nicht nur seine Frau aus der Stadt verschwunden, sondern die Stadt selbst längst entvölkert, überwuchert und zerrieben, von Wüstensand. All das könnte passieren, während er kämpft. Denn es ist eben diese andere Zeit, die dann gilt, die Zeit, die dem Schmerz gehört. Ich sage es nicht gern, aber es ist wahr. Wenn der Schmerz kommt, mag ich es noch lieber. Es erniedrigt mich. Er. Niedrigt. Mich. Ich breche zusammen. Alle Nervenenden lassen mich im Stich. Da kann ich mich noch so oft weigern, verletzt zu werden. Und was uns am tiefsten verletzen kann, ist unsere Geschichte. Oder der Moment, in dem wir wissen: DAS ist jetzt Geschichte, es hat mit uns nur noch zu tun, weil wir es nicht mehr haben. Jede Verletzung, die ich mir während der Dreharbeiten zugezogen habe, habe ich in den Film eingearbeitet. Irgendwas muß auch ich produzieren, und wenn es nur der Schmerz darüber ist, daß ich Schmerzen hab. Je mehr Schmerzen, desto sichtbarer werde ich. Die Muskeln verkrampfen. Und nur am Ende dieses Leidens kann ich der gelungene amerikanische Körper sein, der ich nicht bin. Schmerz kann, in gewissen Situationen, zu etwas anderem werden. Well, you can’t be everything to everyone.
No happy ending
Neulich, in der Jokebox: Do you like to have a good time? Then you need a good watch. Einer von vielen schlechten Witzen in Rocky V, mit denen Rocky sich mit größter Präzision vor seinem Sohn etabliert, als peinlicher Vater. Willste ne gute Zeit, brauchste ne gute Uhr. Ne teure Uhr. Alles ist teuer. Und noch teurer erkämpft. Das ist vielleicht der große Unterschied zwischen Stallone und Schwarzenegger. Während Schwarzenegger als durch und durch Weißer alles im Vorbeigehen mitnimmt, muß Stallone es sich teuer erkämpfen. Auch mit schlechten Witzen. Während Schwarzenegger Cyborgs, Barbaren, Gangster aus Eis und schwangere Männer spielen kann, ohne daß hinter ihm die Flagge Österreichs wehen müßte, bleibt Stallone nichts anderes übrig, als darzustellen, was er ist: Nachkomme italienischer Einwanderer. Und wie soll ich nach sechs Filmen mit Rocky, in denen er sich immer wieder nach oben kämpfen muß, um dann doch wieder zu fallen, denken, daß es ein happy ending geben könnte? Das Leben als Kampf um Anerkennung. Rocky, also der erste Teil, mit dem deutschen Untertitel: Die Chance seines Lebens, ist deshalb mehr Melodram als Actionfilm. Die Aufstiegsgeschichte ist alles andere als weiß. Die Verflechtung von fact und fiction in Stallones Schaffen wird nur durch diese Frage von Nicht-Anerkennung, diese Frage des Nicht-Weißseins möglich und nötig. Was für ein Exempel! Dieser ungebildete, zur Melancholie prädestinierte Immigrant, der dem Land, das nicht seines ist, alles gibt, was er kann. Ohne irgendetwas zurückzuwollen. Und der immer auf sich gestellt bleibt. Auf sich und seinen dummen Optimismus. Und warum dumm? Nur weil ich denke, daß ich, wenn ich aufsteige, wenn ich mir diese romantischen Stories erzähle, um sie nachzuleben, wenn ich so normal bin wie möglich, so sehr an die Nation glaube wie möglich, und wenn ich sexuell alles richtig mache, also gut und richtig, daß ich dann so was wie Glück erleben werde? Und dann fallen die Sicherheiten erst recht. Ich weiß gar nicht, was ich noch erfüllen soll, um eine Chance bei dir zu haben. NICHTS!, schreist du, ohne zu schreien, nichts sollst du erfüllen, du willst wieder viel zu viel. Nämlich mich. Unsere Geschichte existiert sonst nur im Konjunktiv. Besser als nirgendwo, right?
Die reale Bedrohung
Warum riskiert es ein junger Typ, im Ring getötet zu werden, warum sieht er das nicht als Ort, an dem er ausgebeutet wird, sondern als Ort der Erlösung? Der sozialen Erlösung. Weil der Erfolg ihn aus den Slums dieser Welt herausholen wird.Ganz zu schweigen von der temporären Erlösung von den Pflichten gegenüber meiner Frau. Im Ring bin ich ja nur einem anderen Mann verpflichtet, da weiß ich, was mich erwartet. Draußen erwartet meine Frau von mir, daß ich endlich zivilisiert werde wie sie. Sie will mich zähmen. Dabei hab ichbei ihr das Gegenteil geschafft: Ich hab aus der zahmen, züchtigen Adrian eine heiße Schnitte gemacht. Aber das wollte der Drehbuchschreiber in mir ja nur, damit ich parallel dazu auch meine Inititation erfahren kann, ohne daß die auffällt und mich unmännlich macht. Ich suche ständig nach einer Erklärung, von welchen dunklen, ungreifbaren Kräften ich meiner Macht beraubt worden bin. Und irgendwie fällt mein Verdacht immer wieder auf den Feminismus. Und den Pazifismus. Die haben alles, woran ich nach dem Zweiten Weltkrieg, vor dem Zweiten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg arbeitete, auf dem Gewissen.In Rocky IV taucht deswegen die durch und durch dänische Brigitte Nielsen als durch und durch russische Ehefrau und Managerin des Boxers Ivan Drago auf, die immer für ihren Mann spricht, als könnte er es nicht. Und so versetzt der Film der Frauenrechtsbewegung auf amerikanischem Boden und der sowjetischen Gender-Gleichmacherei einen netten Uppercut.Und das spielt Brigitte Nielsen im Undercut, die bis heute unangefochtene Königin der Schönheits-OPs. Die Hand des plastischen Chirurgen beschützt sie genug. Die Faust des Boxers kommt da zu spät. Kein Wunder, daß Ivan Drago den Kampf gegen Rocky verliert. Dessen Frau hat von Feminismus noch nie was gehört und braucht ihren Beschützer. Und Rocky? Braucht nur die Selbstzerstörung, in jedem Teil neu. Diese durch und durch realistische –. Realistisch wäre es, wenn in Teil III nicht der alte Trainer Mickey stürbe, in Teil IV nicht Apollo Creed und nach Folge V nicht Adrian. Realistisch wäre, wenn endlich Rocky selbst verschwände.
Rocko und seine Brüder
Neulich, in der Name Drop Box: Rocky Balboa, Rocko Boalba, Bohnalba Romko, Jon Bon Rambko, John Rambo. Rocky kam vor Rambo. Und alles, was Rocky bereits bewiesen hat, ist Rambo von Anfang an gutgeschrieben. Das Publikum kann sowieso nicht eine fiktionale Figur von der anderen unterscheiden und sieht nur Sylvester Stallone. Praktisch. Darauf kann man aufbauen. Rambo! Wieder ein Kind, das von zwei Menschen benannt wurde, die dabei nackt und auf Acid durch die Wälder rannten. Oder nackt und auf Agent Orange. Auch wenn das alles vollkommen künstlich hergestellt ist, ich mag es, wenn ich in mein Hotel gehe, und da ist dann der Dschungel, ich find das geil, es ist schrecklich, aber ich find es so geil! Rambo muß sich nicht gegen Feministinnen und schwarze Bürgerrechtler zur Wehr setzen wie Rocky, sondern gegen die Vaterlandsverräter, ja, gegen die, wegen denen wir damals in Vietnam –. Und noch besser als bei Rocky kann ich in Rambo melancholisch sein, ohne meine Männlichkeit zu gefährden. Die Melancholie macht mich sogar noch männlicher. Und anschließend bin ich als Rocky umso authentischer, auch ohne MG. Von Rocky zu Rambo und zurück – eine Ausstiegsstory. Und wie immer ist dieses Territorium hier, dieser männliche Körper, nicht einfach Ausgangspunkt des imperialen Kampfes. Er ist sein scharfer scharf bewachter Austragungsort. Und im Gegensatz zu anderen Austragungsorten, wie der namens Schwarzenegger, muß ich immer noch mehr leisten, damit die Nation, die ich für alle Männer bin, nicht zur Ruhe kommt. Deshalb kann Rocky nicht aufhören, seine Männlichkeit zu beweisen? Ja. Deshalb kann er nicht wie Mike Patton im Video zu Easy einfach in einem Hotelzimmer herumhängen, mit einem Dutzend Transen, und ein Liebeslied singen.
Knock me out
Come on, Stallion. Sagt Rockys Frau, Adrian. Nein. Sagt Rockys Trainer und früherer Konkurrent, Apollo Creed. Und zwar nachdem Rocky in Rocky III – Das Auge des Tigers den brutalen Clubber Lang besiegt hat. Die Schlüsselszene des Films ist allerdings nicht der Kampf, sondern die Szene am Strand. Mit Rockys Frau, Adrian. Nein. Mit Rockys Trainer und früherem Konkurrenten Apollo Creed. Rocky und Apollo umarmen sich am Ende ihres Trainings am Strand, im Licht der Sonne, die natürlich untergeht. Ähäm. Are we a little gay?! Scheiß drauf. Rocky Graziano, neben Rocky Marciano Vorbild für Rocky Balboa, küßte seinen Gegner manchmal, als wäre er dankbar für den zusammen gekämpften Kampf. Im Ring kann ich dich eben lieben, und weil ich das kann, muß ich dich zerstören. Verbotene Umarmung. Diese Umarmung mit Apollo kann Rocky sich leisten, weil er inzwischen Vater ist und seinen Körper als männlichen Körper gesichert hat.
– You know, Stallion, it’s too bad we gotta get old.
– Ah, just keep punchin’, Apollo. You wanna ring the bell?
– All right. Ding-ding.
– Come on, Stallion. Come on, come on.
– Boy, you really move good for an older guy.
– You’re lookin’ good, Stallion, I taught you well.
Ich habe dir alles beigebracht, was ich konnte. Hab ich es dabei verloren? Jedenfalls verliere ich den Kampf gegen den Russen in Rocky IV. Ich opfere mich. Für die Nation. Ein ziemlich erwartbares Ende für die love story zwischen zwei Männern, noch dazu zwei nichtweißen? Alles ist immer so unaufgelöst, so unerfüllt. Ein Boxkampf, in dem es keinen klassischen Knockout gibt.
– Am I the only one who thinks Rocky IV is the best?
– Yes.
Worship
Reliquien eines toten Boxers:
Die durchbissene Kauleiste
Das zerissene Trommelfell
Die zerschlissenen Stiefel
Die ledernen Boxhandschuhe [Schütze deine Hände!]
Der frisch gesponserte Morgenmantel
Die abgesungene Nationalhymne
Die verbliebenen Punktetafeln
Die hinterbliebenen Nummerngirls und andere Teile der Dekoration, die den Männern nie die Show stehlen werden
Die Stellen des Bodens, auf die sein Blut traf
Die Seile, in denen er hing und denen er seinen Schweiß gab
Die Kelche, die seine Tränen aufnahmen, als er verlor
Das Triumphgeheul nach seinem ersten Sieg
Die Gebete, die wir sprachen, um ein letztes Mal in der Geschichte die Männlichkeit heraufzubeschwören
Die Gedanken daran, daß er irgendetwas mit Ruinen gemeinsam hat
Der Puder, mit dem er meine Bandagen so präparierte, daß sie durch den Schweiß hart wurden wie Beton
Dramatic infusions
Neulich, im Forever 9/11 Club: Wie ist es möglich, dass ein so netter und höflicher junger Mann wie Sie im Ring so bösartig ist?, fragte mich die Journalistin, bevor sie mir anvertraute, daß sie selber früher ein netter, höflicher und bösartiger junger Mann gewesen war. Wieso sollte ich im Ring nicht bösartig sein?, fragte ich. Ich muß doch spielen, mitspielen, weil alle nur darauf warten: das Finale, die Katastrophe, das spektakuläre Zusammenstürzen der Klötze, die so hoch aufgetürmt wurden, wie es nur irgend ging. The human skyscraper is out of the ring. Die Kämpfe und Zusammenbrüche inszenieren wir schön mit dokumentarischen Mitteln, Handkamera und so. Was die amerikakritischen Filme können, können wir schon lange. Und die Loser da draußen werden es sehen und denken: Auch ich muß kein Loser sein. Ich werde mich aufrappeln und anstrengen, endlich wieder anstrengen, um zu vergessen, daß ich eine Schande bin, daß andere sich für mich schämen. Ich werde das neoliberale System mit aufbauen. Und mich irgendwann dafür schämen. Aber das dauert noch, das kommt erst nach dem retardierenden Moment. Das sozial retardierende Moment? Alles, was wir brauchen, sind: Dramatic infusions! Dramatic infusions! Dramatic infusions of capital investment! Schreiben Sie schon mal die Verschwendungsnachweise.
Get lucky
Gibt es etwas Lächerlicheres, als zu denken, man WIRD gewinnen, und dann, von einer Sekunde auf die andere zu wissen: Ich hab schon verloren? Dich verloren. Noch bevor ich die Chance hatte, dich zu berühren. Jetzt habe ich dieses superharte Training absolviert, Tag für Tag für Tag, um in dem Moment, wenn wir uns sehen, mit diesem stählernen Körper Eindruck bei dir zu schinden. Und ich habs auch geschafft. Doch leider war der Eindruck nicht der, den ich wollte. Es war nur ein Abdruck. Ein Abdruck meines Körpers, auf den du Wochen später zeigst, Wochen, in denen ich mich nach dir gesehnt habe, obwohl ich dich nur ein einziges Mal gesehen habe, und du zeigst auf mich und nickst, dann auf dich, auf diese unglaubliche Schönheit, die du bist, und schüttelst den Kopf und sagst: So was will keiner. Und ich sag: Ich will doch. Es ist zu spät, sagst du. Und ich: Ich hab alles optimiert, was an mir zu optimieren war: künstlerische Biographie, akademische Titel, Bizeps/Trizeps. Und es ist dennoch nicht genug? Du bist zu viel UND nicht genug, sagst du. Im übrigen suche ich kein Date, ein Update deiner Nacktbilder reicht mir völlig. Und auch wenn ich nichts suche oder so, an diesem einen Abend hättest du echt sehr viel Glück haben und alles bekommen können.
Being in the city and trying to survive
Und dann siehst du den letzten Teil, den sechsten, Rocky Balboa, und denkst: Wie schön, daß manche Orte sich einfach nicht weiterentwickeln. Daß sie selbst nach dreißig Jahren immer noch genauso heruntergekommen und ungentrifiziert sind wie das Viertel, aus dem Rocky kommt. Und in das er zurückkehrt. Und aus dem er nie hinauskommen wird. Wie schön, daß manche Orte sich einfach nicht weiterentwickeln, daß sie sich immer mehr und mehr verwickeln, in irgendwas. Und die Sparringspartner für diese Viertel werden immer jünger, sein Kampf wird immer verzweifelter. Selbst die Paparazzi wollen keine Fotos mehr von dir. Ja, klar, if I was 150 years old, I’d be fallin’ apart, too. Aber noch ist es nicht so weit. We still have this yearning kind of element, this urban feeling of being in the city and trying to survive. Of being the city and trying to survive. Es wird mir fehlen. Ich liebe die Kämpfe. Alles war so schnell vorbei.
written for Rocky Cabinet by copy & waste, 2014