
Und auf einmal bist du mittendrin. Du bist unterbrochen worden und bist gleich woanders und dort gleich mittendrin. Mitten in unserer Geschichte, von der du gedacht hast, sie hätte längst aufgehört. Und mitten in dieser Geschichte stehe ich vor dir. Mit einer VHS-Kassette in der Hand stehe ich vor dir, und es sind fünfunddreißig Grad, und ich weiß nicht, wie hitzebeständig das Band dieser VHS-Kassette ist und ob ich überhaupt die Chance haben werde, das Band einzulegen, bevor es zu Staub zerfallen sein wird, das Band einzulegen, damit du fragen kannst: Seit wann schaust du dir Vampirfilme an? Klingt das so?, frage ich, Rote Sonne, klingt Vampirfilm so? Du drehst dich schon um, drehst dich dem Tag zu, der draußen wartet, in der Geschichte, aus der du gekommen bist, drehst dich, und ich kann dich gerade noch anhalten. Siebenundachtzig Minuten, sage ich, und nein, es ist kein Vampirfilm, please believe me. Siebenundachtzig Minuten Rote Sonne, bis die Sonne auftaucht. Siebenundachtzig Minuten, und dann kannst du entscheiden, ob du diese Unterbrechung deines Lebenslaufs wieder rückgängig machst oder nicht. Machst oder nicht. Machs nicht!
[das VHS-Band, das auch bei Hitze nicht zu Staub zerfällt]
[das VHS-Band, das der Staub aufhält, aufhält, aufhält, bis es statt dem Starnberger See Amerika zeigt]
Also, fangen wir mit deinem Lebenslauf an: Elternhaus, Schule, erste sexuelle Erfahrungen allein, zu dritt, zu viert undsoweiter, oder erstmal doch zu zweit. Fragt mich der Amerikaner, der mir gegenüber sitzt, der fünf Minuten vorher noch neben mir steht, jetzt: direkt in mein Gesicht sieht, fünf Minuten vorher noch in einem leicht schäbigen Konzertsaal fast am Wallabout Bay, fragt mich das der Amerikaner, jetzt: nicht fünf Minuten später, eigentlich viel später, aber in dieser Nacht eben nur fünf Minuten. Er trägt einen Schnurrbart, der meinem ähnlich ist. Er trägt eine Hornbrille, die einer Hornbrille nicht unähnlich ist, die ich manchmal im Spiegel sehe, besser als mein Gesicht. Er trägt einen Gesichtsausdruck, der auf etwas aus ist, das außerhalb liegt, vielleicht bei mir, vielleicht, und der sich dennoch jeden Augenblick umdrehen kann, um hinauszugehen, in die Nacht. Im Hintergrund eine Bassline. Meine ersten sexuellen Erfahrungen zu zweit, sage ich, sage ich, sage, denke ich nicht, denke: Diese schäbigen amerikanischen Konzertsäle, diese schönen Menschen, viel zu schön, die müssen doch alle lügen mit ihrer Schönheit, denke ich, diese ganzen Leben, die da draußen in der Wildnis in irgendeinem dieser amerikanischen Staaten begonnen haben und sich hier überkreuzen. Irgendwo eine Bassline. In dieser Stadt, sagt der Typ, nachdem ich eine Stunde geschwiegen habe, in dieser Stadt trifft jeder jeden nur ein Mal. Irgendwo eine Bassline. Den Kopf immer dann in die Richtung drehen, wenn der andere gerade rausgeht, in die Nacht. Den Kopf immer zu spät drehen, zu spät für diese Nacht. Den Kopf immer nur in die eine Richtung drehen, da hier Autos nur aus einer Richtung kommen. Bassline. Und der Typ fragt, viel früher, aber in meinem Ohr erst jetzt, jetzt fragt er, als Bassline: Hast du keine Freundin, die sich um dich kümmert?
Eine Geschichte verfilmen, um sie zu erzählen. Eine Liebesgeschichte verfilmen, um sie zu erleben. Eine Liebesgeschichte verfilmen, in der Hoffnung, man könnte erleben, daß sie gut ausgeht. Und Jahre später oder vielleicht auch Jahrzehnte [das weiß keiner von uns, nicht du, nicht ich] dann diese Liebesgeschichte nochmal verfilmen, wobei niemand sich bei so einer Geschichte [Ende: Tod zweier Liebender] ein Remake vorstellen will, das auf einmal doch gut ausgeht. Doch gut ausgeht. Doch gut? Doch! Ich will mir das vorstellen, ein Remake, das doch noch gut ausgeht, ein neues Drehbuch, das weiter geht. Du hast nicht damit gerechnet, daß ich vor dir stehen würde. Du hast nicht damit gerechnet, daß dein Leben wieder schwer wird, sobald ich wiederkomme. Hast nicht damit gerechnet, daß ausgerechnet hier, während wir einen Film schauen, der dein und mein Lieblingsfilm hätte sein können und es nie war, daß ausgerechnet während so eines Films das Licht ausgeht und wir es doch noch schaffen, das schaffen, was wir nie geschafft haben. Also: Wenn ich jetzt in deine Augen sehe, während du und ich eigentlich diesen Film sehen, wenn deine Augen meine sehen, während sie einen Film sehen, was ist das? In siebenundachtzig Minuten ist der Film hier vorbei. In sechsundachtzig Minuten, in diesem Raum: mehr CO2. In fünfundachtzig Minuten wird die Sonne draußen aufgehen, die Hitze in diesem Raum wird unmerklich steigen, und du wirst dich umdrehen, eine Waffe in der Hand, dich umdrehen, um nicht zu sehen, wie ich sterbe, und ich werde mich umdrehen, eine Waffe in der Hand, um nicht zu sehen, wie du stirbst, wie ich sterbe, wie du und ich sterben.
Die kaputten Konzertsäle, die schönen Menschen und all die Leben aus der Wildnis da draußen, die sich hier treffen, in der Zivilisation, oder aus der Zivilisation da draußen, die sich hier, in der Wildnis, treffen. Und sofort muß ich an Geschichten denken, an die Geschichten dieser Menschen, obwohl ich kein bißchen Ahnung von ihren Geschichten habe, muß ich hier, in diesem amerikanischen Filmsetting, das so untertrieben ist wie jedes Independent-Filmsetting in einem amerikanischen Independentfilm, muß ich Geschichten produzieren, eine Vergangenheit zu diesen Menschen produzieren, die ihre Schönheit begründet, weil sie einen Teil dieser Vergangenheit, jenen Teil, der nicht in den Lebensläufen wiederzufinden ist, einfach weglügen. Und ich muß an dich und mich denken, wie ich einen Teil meiner Vergangenheit immer weglüge, weil ich einfach nicht wahrhaben will, daß ich so viele Fehler gemacht habe, aber ich habe so viele Fehler gemacht, so viele Fehlermeldungen, und jetzt ist unsere Geschichte, selbst wenn ich sie neu starten will, indem ich wiederkomme, indem ich wieder zu dir komme, wieder und wieder, jetzt ist die Geschichte einfach zuende, Gegenwart, die nicht mehr gegenwärtig ist, und auch schon keine Zukunft mehr, und das alles bei einer Temperatur weit unter der Temperatur deines Körpers, vielleicht auch meines, vielleicht auch dieses ganz aus Vibrieren bestehenden Körpers, [i heard it], aus Vibrieren bestehend [i heard it through], aus Vibrieren [i heard it through the bass line / not much longer would you be my baby].
[our life is not a movie or maybe:] Du bist zu schön, um verletzt zu werden. Und ich bin nur schön, wenn ich lüge. Und leider lüge ich immer, wenn ich sehr weit weg bin von dir. In dieser Stadt hier kann ich eigentlich nur lügen, kann den ganzen Tag lügen und in diesen Lügen immer schöner werden, um immer mehr schöne Menschen und immer schönere Menschen kennenzulernen in dieser Wildnis, wo die Menschen auf einmal andere Namen tragen als die, die sie früher trugen, unglaubwürdige, wenn auch effektvolle Nachnamen wie: Solar, Cummings, Ecstasy, um sich gegenseitig zu versichern: You could pimp Miami Vice with that look, Darling. Da kann mir die Hälfte meiner Freunde aus dem anderen Nordteil dieser Erde immer wieder schreiben: Sometimes the world is not satisfying when it confirms a cliché from the world online. Das wird nichts ändern. Daß ich oft über Schönheit nachgedacht habe, seit ich hier bin, und am Ende lande ich niemals in LA, niemals in Miami, niemals bei Uschi Obermaier, sondern immer bei dir, sage ich. Wenn ich dich anschaue, sagst du, kann Schönheit, falls sie existiert, jedenfalls nichts Sichtbares sein. Schönheit, hergestellt in einem Prozeß, in dem der Blitz immer wieder etwas ablichtet, was eigentlich nicht sichtbar sein kann. Im Hintergrund sagt Marquard Bohm [VHS-Qualität]: In der Zivilisation bin ich aufgeschmissen. Ich bin für die Wildnis geboren.
In einer der tausend Wohnungen gegenüber meiner Wohnung, in einer Wohnung, die wahrscheinlich keine Wohnung ist, blitzt es fast den ganzen Tag. In dieser Wohnung gehen Dinge vor sich, die meine Vorstellungskraft übersteigen. In der Wohnung, die meiner gegenüberliegt, in einem Winkel von siebzehn Grad nach oben, blitzt es. In dieser Wohnung blitzt es so, daß es nicht nur in der Wohnung blitzt, sondern darüber hinaus, und ich weiß, es ist albern, aber ich habe Angst, Angst, dieser Blitz könnte auch mich erfassen. Also fange ich an, mich zu synchronisieren, meine Bewegungen in meiner Wohnung mit den Bewegungen des Lichts, das sich in der Wohnung da drüben ausbreitet, diese Bewegungen mit meinen zu synchronisieren, in Deckung zu gehen, um nicht mit abgelichtet zu werden, dafür bin ich nicht so weit gegangen, nicht so weit weggegangen, um dann doch noch in einer Vampirgeschichte zu enden, die mir mein Ende erklärt, weil ich auf keinem Foto sichtbar bin. So als würdest du mich nur anschauen, dann die Waffe in der Tasche laden und sagen: Was mach ich mit dir? Ich hab keine Ahnung. Wir könnten zum Starnberger See fahren. Ein See? Ja. Ein tiefer See. Aber auch ein tiefer See nützt hier nicht. Selbst ein Aquarium hat mehr Tiefe als dieser Film.
Irgendwann will ich in Williamsburg leben. Denn Williamsburg sagt zu mir: Du kennst mich doch, Taktik war nie meine Stärke, aber ich habe einen gewissen kaputten Charme, der ist unwiderstehlich. Ja, unwiderstehlich haben sies hier, die amerikanischen Kleinstadt-Highschool-Schüler, die herkommen, um in einer Großstadt ihre Kleinstadt wiederzufinden, weiterzufinden, weiterzuerfinden. Dieselben, die, wenn ich sage: Mit mir ist alles in Ordnung, ich schrecke bei jedem Fotoblitz auf jedem Konzert in jedem schäbigen Konzertsaal Williamsburgs auf, aber mit mir ist alles in Ordnung, die sich dann herüberbeugen, bevor sie sich umdrehen und in der Nacht verschwinden, herüberbeugen und sagen: Sehen Sie mal in den Spiegel da drüben, Sie haben Angst. Und manchmal hinzufügen: Sie müssen sich mal einen Vampirfilm anschauen. Und dann bin ich aufgeschmissen. Ich habe das immer gesagt: In der Zivilisation bin ich aufgeschmissen. Da, wo es blitzt. Da, wo es Tag wird. Da, wo Licht auf die Leinwand fällt und erstmal nichts anderes ist als das, wo das einzige, was sich bewegt, das ist, das Licht, bin ich aufgeschmissen. Und ich kann nur noch zuhören, eine Stunde lang, zwei Stunden, drei, jeder Band in den schäbigen Konzertsälen zuhören, während es immer heißer wird und immer mehr CO2 die Nacht da draußen von der Nacht hier drinnen abgrenzt, und manche Ansagen für einen Song mehr treffen als dieser Song. Ansagen wie: This song is for our former band member Amber, she’s going back to West Virginia for a while.
Diese ganzen West Virginia-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach West Virginia fährt. Diese ganzen New York-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach New York fährt. Diese ganzen Marokko-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach Marokko fährt. Diese ganzen Nosferatu-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach Bremen fährt. Diese ganzen Brinkmann-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach Vechta fährt. Diese ganzen Kreuzberg-Geschichten, wenn man nach Berlin fährt. Diese ganzen Miami Vice-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach Miami fährt. Diese ganzen Kohlestaubgeschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man ins Ruhrgebiet fährt. Diese ganzen Schwabing-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man nach München fährt. Diese ganzen Bavaria-Studio-Geschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man auch nur in die Nähe von München fährt. Diese ganzen Geschichten von roten Sonnen, mit denen man zugespammt wird, wenn man zum Starnberger See fährt, immer und immer und immer immer wieder und immer gern. Diese ganzen Liebesgeschichten, mit denen man zugespammt wird, wenn man ins Kino fährt.
Also, hören wir mit deinem Lebenslauf auf, hören wir mit dem Lebenslauf, während das Leben noch läuft, besser auf, damit es weiterlaufen kann, noch weiter, dahin, wo du es hinschaffen wolltest, von unserem ersten gemeinsamen Augenblick an, und ich es nicht hingeschafft habe: Liebe bei gemessenen sechsundddreißig, gefühlten dreiundsechzig Grad. Kannst du mir die roten Flecken im Gesicht dann wegschminken, mit Photoshop? Stattdessen, sagst du, versuchst du, uns mit Geschichten zu fassen, dich und mich, so wie mit der Geschichte von Rote Sonne, ja, ich weiß eine schöne Geschichte, nur: Eine Geschichte, die vierzig Jahre alt ist, kann mich nur verfehlen, sagst du, da hilft das alles nichts, das hier hilft uns nicht: Abschweifungen, Vertraulichkeiten, private Korrespondenzen, Projekte, nicht gehaltene Versprechen. Und du hast recht. In vierzig Jahren wird irgendjemand in L.A. ein Remake von unserem Liebesfilm machen, und du und ich, wir werden einen Cameoauftritt haben, wenn überhaupt, wenn, dann werden wir ein Cameo haben, und vielleicht fragst du mich dann, was du mich schon die ganze Zeit fragen willst: Willst du mir weiter das Leben schwermachen? Ja, ich will es schwer machen, will das Leben schwer! Sobald ein Vampir ins Bild kommt, wird es eben schwer. Nicht daß ich so viel zum Verfall der Bilder beigetragen habe, aber ich bin für die Wildnis geboren. Warum gehst du nicht in die Wildnis? Ich kann nicht allein sein, ich meine: Ich kann nicht allein in der Wildnis sein, nur wenn ich mit dir in der Wildnis bin, sind wir das zusammen, du und ich, Wildnis, in Zukunft, verwilderte Zukunft.
Irgendwann will ich in Miami Vice leben. Zur Not auch in irgendeinem anderen Teil der Erde, an dem Teile des Himmels in dieses schöne Rot getaucht sind, seien es die Wolken oder die Vögel oder zur größten Not auch die Sonne selbst. Rote Sonne, die für mich den Tag teilt, an dem ich es immer schwer habe, und die Nacht, in der ich es anderen schwer mache, das Leben schwer mache, so schwer, daß ich es ihnen abnehmen muß, aufnehmen muß [recording], ein rotes recording-Zeichen: Rote Sonne, damit es hell genug ist, daß ich ahnen kann, wo deine Augen sind, wenn ich zu dir komme, ahne, wo sie sind, und dennoch nie genau weiß, was meine Augen sollen, was meine Augen bei deinen sollen, das weiß ich nie, nicht zwischen Nacht und Tag, nicht am Ufer des Starnberger Sees und nicht in New York. Rote Sonne als immerhin bester deutscher Film seit Beginn der Tonfilmzeit, als einer der wenigen europäischen Filme, die von den amerikanischen Filmen eine Haltung übernommen haben, ohne Aufdringlichkeit neunzig Minuten lang nichts als ihre Oberfläche auszubreiten, Oberfläche ausbreiten, um sie bei achtunddreißig Grad ein bißchen aufzuheizen und dich und mich zu gewöhnen, langsam wieder an die Körpertemperatur des anderen zu gewöhnen, an Erhitzung überhaupt, bei gemessenen achtunddreißig, gefühlten dreiundachtzig Grad. Auf diesem Planeten gehen Dinge vor sich, die meine Vorstellungskraft übersteigen.
Daß man selbst nicht weiß, was man getan hat, ja. Daß man selbst den Film gar nicht sehen kann, man kann ihn nicht sehen. Nur wenn ich im Kino sitze, merke ich, wie sehr jeder um mich herum verwickelt ist in das, was da vor uns abläuft, daß zumindest das abläuft, was gerade für jeden um mich herum abläuft. Aber es bleibt merkwürdig, daß man seine eigene Sache nicht sehen kann, das, was direkt abläuft. [recording:] In meinem Film sind alle sichtbar, nur ich nicht, und es ist nicht nur meine Schönheit, die fehlt. Eine vertrackte Liebesgeschichte, deren gutes Ende nie jemand sehen wird, weil niemand mich an deiner Seite am Ende sehen wird, auf keinem Film. Darf ich dir dein Leben schwermachen? So schwer, daß unsere Geschichte dich nicht verfehlt und mich nicht? Das ist die Frage. Eine Frage nach dem Tag. Eine Frage nach dem Licht. Eine Frage nach dem Tageslicht. Die Bassline jedenfalls, die unter deiner Schönheit liegt und unter meiner, meiner Schönheit, die nur da ist, weil sie lügt, und deiner Schönheit, die da ist, damit du nie verletzt werden kannst, diese Bassline will uns irgendetwas verraten, und irgendwann werden wir wissen, was. Zu spät. Du drehst dich um und gehst, von der einen Sekunde zur anderen, drehst dich dem Tag zu, und das nur, damit die Geschichte nicht so endet: Wir beide mit Waffen in der Hand am Ufer des Sees. Ok. Ok, fahren wir zum See, aber. Wenn unsere Augen sich da berühren, wird es Tag, oder wird es Nacht?
Fünf Mal die letzte Szene drehen, in der die Sonne aufgeht, weil die Sonne so schnell aufgeht, in Deutschland so früh aufgeht, ja, gleich sind wir zurück am Starnberger See, und wenn beim fünften Mal die letzte Szene funktioniert, weil die Sonne aufgeht, als wir gerade zuende gehen, du und ich, die Waffen in der Hand, zuende gehen, weil der Film zuende geht, und weil mich die Sonne trifft, die erste Sonne dieses fünften Versuchs mich trifft, und ich könnte zu Staub zerfallen. Eine schöne Geschichte? Aber im Moment ist sie mir entfallen. Ein Drehbuch, das weitergeht, jetzt schon viel weiter geht, als wir es denken können, jemals, ein Drehbuch, das einen Film zuläßt, der nicht eingeholt wird von der Gegenwart, immer doch noch ein Stück voraus, so wie sie immer wieder zurückfällt, die Gegenwart, hinter das, was Drehbücher vor vierzig Jahren wollten, vor fünfzig, hundert und mehr. Deine Augen blicken her. Deine Augen blicken meine Augen an. Deine Augen blicken meinen Blick an. Deine Augen und meine Augen, wenn sie sich berühren, wenn sie sich, wenn sie, wenn es Nacht wird, weil es Nacht wird, sich berühren, unterbrechen wir uns, unterbrechen wir alles, was noch kommen könnte, oder ist das die Unterbrechung selbst, die uns unterbricht? Ich vor dir, Film-Still aus Rote Sonne, reanimiert, die Waffe in der Hand. Die Waffe in deiner Hand, zeigst du auf den Schweiß, der meine Schläfen hinunterläuft. Ist diese Hitze die Hölle oder schon Hollywood? Ich bin ein Vampir, sage ich, ein Vampirfilm, sage ich, ein reanimiertes Still aus einem Vampirfilm, ja? Dein Gesicht dreht sich um, dein Gesicht dreht sich, deine Lippen bewegen sich nicht, aber deine Stimme sagt: Ach was. So kann man doch keine Geschichte verfilmen, wenn man keine Sensation anzubieten hat! Einen neuen Look. Am Anfang und Ende nichts und in der Mitte Stoff, oder so was Ähnliches. Das wären mal Geschichten nach meinem Geschmack! Eine Geschichte verfilmen, um sie zu verfehlen. Verfehlen, damit gerade dann, wenn diese Liebe nicht mehr stattfinden kann, das Remake keinen Platz mehr finden kann, auf einmal doch alles geht, weil wir nicht mehr verdecken können, wie unterbrochen wir sind, selbst wenn wir versuchen, uns zu berühren, und wie wir vielleicht wenigstens den Versuch wagen können, diese Unterbrechung zu unterbrechen, uns als Unterbrechung. Und: Ja, ich habe alle Fehler gemacht, alle Fehler, die in den Fehlermeldungen für einen Mann möglich sind, vor allem für einen Mann, der gerade nicht mehr Teenager ist. Grund genug, die Waffe zu heben? Dann schau mich jetzt lieber nicht an, wenn ich sage: Ich habe allen Mädchen, die ich kennengelernt habe, von dir erzählt, da habe ich schließlich gemerkt, daß ich dich liebe. Schau mich lieber nicht an, weil ich sicher nicht sehr schön aussehe, dann. Schau mich lieber jetzt an, jetzt bin ich gerade sehr schön, wenn ich sage: I’m going back to Starnberg for a while. Du hast nicht damit gerechnet. Mit dieser Lüge hast du nicht gerechnet. Mit dieser Lüge, die mich zum Ende erklärt, mich zuende erklärt. Mit dieser Lüge auf VHS-Kassetten, die zu Staub werden, in der Hitze. Darunter die Bassline. Die Bassline. Bassline. Dahinter: gezielt unscharfer Studiohintergrund [Himmel, Bäume, Sonne, Berge, Segelboote, See, Ufer, VW-Käfer mit offenen Türen, zwei Verblutende]. Und du bist mittendrin. Mitten im Ende drin. Mittendrin drehst du dich um. [our life is not a movie, maybe:] Drehst dich um. Sehen deine Augen meine Augen? Drehst dich. Oder sehen sie meinen Blick? Drehst dich. Drehst dich nicht. Drehst dich. Drehst dich nicht. Drehst dich. Drehst dich nicht.
für: Eiszeit. Sommergeschichten, hg. von Anvar Cukoski, Berlin Taschenbuch Verlag 2010